František X. Bašík und sein Lebenslauf
in: Franz Kafka: Brief an den Vater (Berlin: Wagenbach, 2004), s. 65-67
Die ersten Mitglieder der Familie Basik tauchen im Archivmaterial für die Volkszählung zum Glaubensbekenntnis im Jahr 1651 in Velke Lohovice (Großlohowitz; heute Hlohovice) im Umland von Rokycany (Rokitzan) auf. Zweihundert Jahre später wechselte Antonín Bašík (1852-1897) von der Landwirtschaft zum Schreinerhandwerk und zog aus seinem Geburtsort nach Prag, wo er im Jahr 1870 Kateøina Ortmanová (1840-1954) heiratete; sie hatten zusammen drei Kinder - Josefa (Pepi) Bašíková-Kühnelová (1872-1952), Antonín (Toni) Bašík (1874-1952) und František Xaver Bašík. Dieser wurde am 15. Juni 1878 in Prag in der Lindengasse 18, im Haus mit der Konskriptionsnummer Nr. 1444-II geboren. Nach dem Absolvieren der sieben Klassen in der Volksschule beim Hl. Stefan und der Bürgerschule bei der Allerheiligsten Dreifaltigkeitskirche trat er als Lehrling in das Galanteriewarengeschäft von Hermann Kafka in Prag ein (15. September 1892- 51. Januar 1895), in den Jahren 1895-1908 war er Buchhalter und Handlungsreisender einer Fabrik für Wachsprodukte in Jung-Bunzlau (Mladá Boleslav), in den Jahren 1905-1908 war er Leiter der Pilsener Zweigstelle dieser Fabrik.
Am 25. September 1905 heiratete er Anna Jindøiška Špinarová (1881 bis 1961), mit der er fünf Kinder hatte. In den Jahren 1908-1909 arbeitete er in Pilsen (Plzeò) als selbständiger Handlungsreisender, danach als Handlungsreisender und Buchhalter der Fabriken J. Eliáš (Prag), J. B. Èesák Pøedmìøitz a. E. (Pøedmìøice), 0. Schönbach (Prag), Brüder Drechsler (Pilsen), Monopol (Jung-Bunzlau) und schließlich 1915-1926 als Buchhalter in der Firma Laurin & Klement in Jung-Bunzlau. In den Jahren 1926 bis 1945 lebte er ohne eine feste Anstellung in Jung-Bunzlau, verdiente sich seinen Lebensunterhalt als "gerichtlich vereidigter Sachverständiger für Philatelie", Händler für Schreibmaschinen Marke Underwood usw., 1945 bis 1950 war er Verwalter der Tourismuseinrichtung Jäckelbaude (Menší Ještìd) in Kriesdorf (Køižany). Ab 1950 lebte er als Rentner in Reichenberg (Liberec), wo er am 10. Februar 1965 starb.
Im Jahr 1940 entschloß sich František X. Bašík, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und im Laufe von drei Jahren entstand ein umfangreiches, neunteiliges Manuskript mit dem Titel Fünfzig Jahre. Das war genau die Zeit, die seit seiner ersten Anstellung vergangen war. Der Text beschrieb zwar wirklich Basiks Leben bis Anfang der 1940er Jahre (mit einigen wenigen Ergänzungen aus der Nachkriegszeit), aber nur etwa ein Fünftel des Textes wurde redigiert - der Umfang des Werkes war schwer zu bewältigen - schon für den Autor selbst. Zuerst entstand eine handschriftliche erste Version, die er in der Folge zweimal korrigierte und schließlich auf einer Underwood-Schreibmaschine abschrieb. Diese endgültige Textfassung weicht teilweise stark von der ursprünglichen Handschrift ab, wobei die Unterschiede allerdings überwiegend stilistischer und nicht inhaltlicher Natur sind. Die maschinenschriftliche Fassung umfaßt nur den ersten Teil und die Hälfte des zweiten Teiles, der Rest liegt handschriftlich vor.
Bašík bemühte sich, ein "Bild der Zeit" zu zeichnen, das nicht nur den Grad der Veränderungen der Lebensverhältnisse aufzeigt, zu denen es im Laufe des zurückliegenden Jahrhunderts kam, sondern auch die zeitliche Bedingtheit der "persönlichen" Ansichten - der moralischen, politischen, nationalen und auch religiösen. Basik erzählte sein Leben in der dritten Person und bemühte sich um eine gewisse literarische Stilisierung: Die zentrale Figur bekam den Namen František Bartík. Das war, so weit sich feststellen läßt, allerdings die einzige bewußte Veränderung des erlebten Geschehens.
In der Familie Bašík wußte man von der Existenz dieser Erinnerungen, man las sie aber kaum, vielleicht weil die kleine Schrift und der Umfang des Manuskriptes von vornherein entmutigten. Erst im Jahre 1994 zeigte sich beim Vergleich der Fakten aus dem ersten Teil von Fünfzig Jahre mit Details aus dem Lebenslauf von Franz Kafka, daß die Gestalt des kleinen Frantík Kafka mit dem Schriftsteller identisch ist. Das war Anstoß für Bemühungen, zumindest Teile des Textes zu veröffentlichen. Textauszüge in denen Kafka erwähnt wurde, erschienen zunächst in kleiner Auflage im Verlag Maštal (1994-1995). Versuche, diese in einer literarischen Zeitschrift mit breiterem Leserkreis zu publizieren, scheiterten. Es bestanden Zweifel an der Authentizität dieser Textauszüge - der Grund war die Tatsache, daß Basik nichts vom späteren literarischen Ruhm seines Schutzbefohlenen wußte, so daß sein junger Kafka nur eine episodenhafte Gestalt am Rande eines ganz anderen Schicksals blieb. Die Nichtalltäglichkeit einer solchen privaten Wahrnehmung des jungen Kafka und die Veränderung der Mentalitäten, die es z.B. einem Leser, der nichts über den zeitgenössischen Kontext weiß, unwahrscheinlich erscheinen läßt, daß ein fünfzehnjähriger Junge nicht wußte "wie Kinder auf die Welt kommen", führte zum Schweigen der angesprochenen Redaktionen. Letztlich gelang es jedoch, diese Abschnitte zu publizieren - die Brünner literarische Monatsschrift Host druckte sie 2001 ab. Der Text weckte das Interesse deutschsprachiger Kafka-Forscher, und dank Alena Wagnerová erscheint jetzt ungefähr die Hälfte aus dem ersten Teil von Basiks Memoiren in deutscher Übersetzung. Im Original trägt dieser Teil den Titel Aus der Schulbank in die Schule des Lebens (1892-1895).
Jiøí J. K. Nebeský (Urenkel F. X. Bašíks)
Aus dem Tschechischen von Christof Groessl und Jaromir Konecny.